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Fermentation aus Gärtners Sicht

By 5. Mai 2017Februar 16th, 2020One Comment
Kraftwerk vor Feld.

Dieser Text erschien im Jahrbuch 2016 im renommierten Schweizer Foodmagazin “marmite”. Er richtet sich vorwiegend an Gastronomen. Ihnen wollte ich die Bedeutung der Fermentation mal aus einem gänzlich anderen Blickwinkel präsentieren.

Die nachfolgenden Betrachtungen berühren nur die Oberfläche eines sehr großen Themas. Denn die Fermentation ist nicht nur ein sehr komplexer Prozess, sie spielt viel mehr eine so umfassende Rolle für das Leben allgemein, dass ich hier nur Anregungen geben kann.

Was ist Fermentation

Ganz allgemein gesagt ist die Fermentation der Um- und Abbau organischer Substanz durch Mikroorganismen. Dies sind Pilze (z.B. Hefen), Bakterien, Viren, Algen und andere Kleinstlebewesen – kurz gesagt Mikroben. Diese Mikroben besiedeln nahezu unsere gesamte Erdoberfläche – auch an den „unmöglichsten“ Stellen… Sie sind hochgradig spezialisiert und leben in höchst komplexen Symbiosen.

Manche Mikroben hat der Mensch zu „zähmen“ gelernt. Dann betreibt er eine gezielt geführte Fermentation. Mit Hefepilzen läßt er Alkohol produzieren, mit Labbakterien Milch zu Käse reifen und mittels Milchsäurebakterien wird Kohl zu Sauerkraut oder Kimchi. Diese Aufzählung ist nur ein winziger Ausschnitt aus dem immer breiter werdenden Spektrum gezielter Nutzung von Mikroorganismen.

Größere Zusammenhänge

Das Leben ist mit den Mikroorganismen entstanden und permanent von ihnen umgeben entwickelten sich ihnen heraus sämtliche weiteren Lebensformen auf der Erde.

Der Mensch ist , wie alle anderen Lebewesen auch, bestens an seine mikrobenreiche Umgebung angepasst. Auf und in ihm siedeln so viele Mirkoorgansimen wie er Körperzellen hat.1

Aber auch im Tod und danach spielen die Mikroben eine entscheidende Rolle. Ihren fermentativen Prozessen ist es zu verdanken, dass sich nicht Leichenberge auf diesem Planeten stapeln. Wir werden von ihnen umgesetzt und so zum Material für neues Leben. Das Spiel beginnt von neuem. Oder anders ausgedrückt: Asche zu Asche, Staub zu Staub, Humus zu Humus.

Fermentation und Gärtnerei

Aus gärtnerischer Sicht erscheinen mir zwei Fermentationsprozesse besonders wesentlich: die Humusbildung und die Fermentation als Konservierungsmethode für Gemüse.

Beginnen wir mit letzterem.

Konservierungstechnik

Durch die Milchsäurefermentation wird es möglich, Gemüse haltbar zu machen. Dies geschieht auf die denkbar einfachste Art. Die technischen und energetischen Aufwendungen sind sehr niedrig im Vergleich zu allen anderen Konservierungsmethoden. Wie das im einzelnen geschieht, ist an anderer Stelle genug beschrieben worden.

Für mich als Gärtner gibt es hierbei jedoch ein weiteren wichtigen Aspekt, den sich Verbraucher oft nicht bewußt machen: Ernte und anschließende Verarbeitung bedeutet, dass ich überschüssiges Gemüse nicht verramschen muss. Und es bedeutet des Weiteren, dass die Fläche, auf der das Gemüse bisher stand für Folgekulturen frei wird. Es belegt also nicht mehr länger wertvollen Platz. Und noch etwas: komplett (und nicht nur teilweise) abgeerntete Flächen sind effizienter zu bearbeiten als teilbeerntete.

Die Verarbeitung dynamisiert die Wirtschaftlichkeit meiner Gärtnerei also direkt und indirekt.

Humusbildung

Noch weit bedeutender als der eben erwähnte Fermentationsprozess für Konservierungszwecke ist aber der Fermentationsprozess, den Mikroben leisten, um abgestorbene oder geerntete Pflanzenteile zu Humus zu verwandeln. Dabei setzen sie wie nebenbei genau die Nährstoffe frei, die die nächste Generation Pflanzen zur gesunden Entwicklung braucht. Ist dieser Prozess gestört, braucht es (Kunst-)Dünger.

Man könnte den Schluss ziehen, dass ein Garten um so besser gedüngt ist, je mehr abgestorbene organische Substanz man dem Boden zuführt, um so den Umbau und damit de Nährstofffreisetzung noch dynamischer zu gestalten. Zumindest teilweise stimmt dieser Schluss. Jedoch will man seine Kulturen auch nicht überdüngen – und dies wäre mit einem Zuviel an frischer (eiweiß- und damit stickstoffreicher) organischer Substanz durchaus möglich. Außerdem will der Gärtner seinen Boden nicht nur mit Nährstoffen versorgen, sondern auch seine Struktur aufrechterhalten oder möglichst verbessern. Dies gelingt mit kohlenstoffhaltiger Pflanzenabfällen am besten. Ein ausgewogenes Verhältnis aus Kohlenstoff und Stickstoff in der organischen Substanz ist das große Humus-Geheimnis. Stimmt dieses Verhältnis, werden im Boden durch die Tätigkeit der Mikroorganismen und einiger größerer Tierchen nicht nur die Nährstoffe freigesetzt, von denen sich Pflanzen ernähren, es wird auch der so immens wichtige Dauerhumus gebildet, der die Bodenstruktur bewahrt und bestenfalls aufwertet.

Fermentation und Klima

Die Bildung von Dauerhumus ist ein wichtiger Prozess, der uns alle – nicht nur die Gärtner und Landwirte interessieren dürfte! Denn diese Form der Humusbildung bedeutet neben der Strukturverbesserung des Boden gleichzeitig Kohlenstoffspeicherung und damit eine CO2-Reduzierung in unserer Atmosphäre! Dieses Phänomen ist m.E. das meistunterschätzte Argument in der gegenwärtigen Diskussion um die Klimaerwärmung.

Die Aussage, dass die Landwirtschaft zur Klimaerwärmung beitrage, stimmt wohl2. Sie sind jedoch Folge krasser Fehlentwicklungen im Zuge der Industrialisierung der Landwirtschaft – auch der Industrialisierung der Bio-Landwirtschaft3.

Die erwähnte Unterschätzung der CO2-Bindung liegt im völlig unbeachteten aber enormen Potential den richtig betriebene und damit humusaufbauende Landwirtschaft mit sich bringt.

Ein Rechenbeispiel soll diese Bedeutung verdeutlichen:

Gehen wir mal von einer 0,4%igen Humussteigerung im Boden aus. Dann bedeutet das eine CO2 Bindung von guten 17 Tonnen CO2 je Hektar4,5. Bei weltweit 5 Milliarden Hektar6 landwirtschaftlich genutzer Fläche wäre dies eine CO2-Bindung von 85 Milliarden Tonnen. Das ist mehr als doppelt soviel CO2, wie jährlich weltweit durch die Verbrennung fossiler Energieträger in die Atmosphäre gelangt!

Nun ist der Humusgehalt eines Bodens nicht endlos zu steigern. Mehr als 100% geht auch theoretisch nicht. Aus einer wirklich langfristigen Perspektive heraus betrachtet sei jedoch daran erinnert, dass zum Beispiel die Prärieböden in den USA vor deren Inkulturnahme Humushorizonte von vielen Metern aufwiesen – hier war Kohlenstoff in schier unvorstellbarer Menge gespeichert. Die „moderne“ Landwirtschaft hat diese Humushorizonte in wenigen Jahrzehnten abgebaut. Dort kann heutzutage, wenn überhaupt, nur noch mit Kunstdüngern geackert werden…

Leider kann sich auch ein Großteil der Biolandwirtschaft von dieser Schuld nicht freisprechen. Auch hier führte – bedingt durch die große Nachfrage nach Ökoprodukten der Weg hin zu einer industrialisierten Bio-Nutzung des Landes. Unter Fortlassung von synthetischen Dünge- und chemischen „Pflanzenschutzmitteln“ wird auch hier nur zu oft Raubbau am Boden betrieben.

Fermentation in Form von Humusbildung könnte zum aktiven Klimaschutzfaktor werden. Nämlich dann, wenn es zum Ziel der Landwirtschaft würde, diese Humusböden wieder aufzubauen. So entstünden quasie nebenbei neue und wertvolle landwirtschaftliche Nutzflächen bei gleichzeitiger Bildung eines schier endlosen CO2-Senke. Und behaupte niemand, dies sei unmöglich. Die Praxis beweist dies schon seit langem – leider bisher nur in sehr kleinen Beispielen7. Durch richtige Bewirtschaftung ist eine Trendumkehr möglich8! Folgende Stichworte seien hier kurz erwähnt: Pflugloser Ackerbau, Mulchsysteme, betreuungsintensive Weidehaltung, Polykulturen.

Der viel erwähnte Verzicht auf Fleisch aus Klimaschutzgründen ist dagegen zu pauschal gefordert und damit falsch. Viele ackerbaulich ungeeignete Böden lassen sich sinnvoll nur als Weide nutzen, um darauf Nahrung zu produzieren. Wichtig wäre allein, dass dies humusaufbauend erfolgt. Und dies hat mit der Art des Weidemanagements zu tun. Richtig betrieben sind hier Ertragssteigerungen möglich, die mit den herkömmlichen Dauerweidesystemen undenkbar sind. Das erscheint kurios angesichts der Tatsache, dass genau diese Dauerweidesysteme als das Nonplusultra der ethisch und ökologisch korrekten Tierhaltung gelten. Im betreuungsintensiven Weidemanagement gehen Ertragssteigerung, Artenvielfalt, Tiergesundheit und Humusaufbau Hand in Hand9.

Fazit

Die Fermentation ist bei Weitem kein reines Küchenthema. Wie wir gesehen haben, beginnt ihre Relevanz schon weit vor der Küchentür. Sie ist deutlich umfassender zu betrachten, als nur beschränkt auf Lebensmittel.

Trotzdem ist das kulinarische Potential gerade wegen ihrer Vielfältigkeit enorm. Ich denke, dass wir hier erst am Beginn einer sehr spannenden Entwicklung stehen.

Als Anregung sei empfohlen, sich im Spätherbst in den Wald zu begeben und unter den einzelnen Baum- und Straucharten das angerottete (= anfermentierte) Falllaub aufzusammeln. Riechen Sie mal dran, kneten Sie es in Ihren Händen und riechen Sie erneut! Der herbstliche Abbauprozess des Laubes setzt die unterschiedlichsten ätherischen Öle frei. Es entstehen dabei auch Alkohole mit differenziertesten Aromen. Von Laubart zu Laubart finden Sie sehr verschiedene Aromenspektren. Diese wiederum vermischen sich mit den Aromen, die der jeweilige Untergrund mit sich bringt. Pilze fügen ihren Teil dazu. So entsteht von Standort zu Standort ein einzigartiges Duftbild, wie es individueller kaum sein könnte. Wer in der Lage ist, diese Aromen in seine Küche zu bringen, braucht nicht mehr bloß von regionaler Küche zu sprechen. Er fängt den Ort ein, die Lage, den konkreten Standort.

Aber auch in der normalen Milchsäurefermentation sind die Potentiale nicht annähernd ausgeschöpft. Um nur ein Beispiel zu nennen: Fermentieren Sie mal Weißkohl zusammen mit ein paar Nadelzweigen der Douglasie. Deren Zitrusaromen wirken im wörtlichen Sinne erfrischend auf das entstehende Sauerkraut!

Ich würde mich freuen, wenn Sie dieser Beitrag anregt, sich mit dem Thema weiter zu beschäftigen! Und sprechen Sie Gärtner und Landwirte an: sie mögen beginnen Humus aufzubauen. Denn egal, welche Kultur auf diesen Böden angebaut wird, sie wird besser gedeihen und besser schmecken als auf verarmten Böden. Und ganz nebenbei bremsen wir den Klimawandel.

[x_alert heading=”Quellen” type=”info”]

1) Abbot, Alison: „Besteht der Mensch aus mehr Bakterien als Körperzellen?“ unter http://www.spektrum.de/frage/besteht-der-mensch-aus-mehr-bakterien-als-koerperzellen/1392955 (abgerufen am 03.11.2016

2) Planer, Jörg: „Landwirtschaft als Mitverursacher des Klimawandels“ unter ttps://www.aid.de/inhalt/landwirtschaft-als-mitverursacher-des-klimawandels-2704.html (abgerufen am 15.11.2016)

3) Pollan , Michael: Das Omnivoren-Dilemma. München: Arkana, 2006, Kapitel 1 und 2

4) Ökoregion Kaindorf „CO2 Bindung durch Humusaufbau“ unter http://www.oekoregion-kaindorf.at/index.php/co2-bilanz/co2-bilanz-oekoregion/co2-bindung-humusaufbau (abgerufen am 15.11.2016)

5) Hülsbergen, Prof. Dr. Kurt-Jürgen „Chancen der CO2-Einlagerung in den Boden“ unter http://www.stoffstrom.org/fileadmin/userdaten/bilder/Biomasse/Chancen_der_CO2_Einlagerung_in_den_Boden_Prof._Dr._Kurt-_Juergen_Huelsbergen.pdf (abgefufen am 15.11.2016)

7) Salatin, Joel: You can farm. Polyface Incorporated, 2006

8) Pollan , Michael: Das Omnivoren-Dilemma. München: Arkana, 2006, S 310f

9) Pollan , Michael: Das Omnivoren-Dilemma. München: Arkana, 2006, S. 274f

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Olaf Schnelle

Ich bin Gärtner. Für mich hätte es keinen besseren Beruf geben können. So eng mit der Natur zu arbeiten und dabei sinnvoll Produktives zu tun, ist ein richtig schönes Ding. Nahrungsmittel zu schaffen, die diesen Namen im wörtlichen Sinne verdienen, ist ein essentieller Prozeß. Mein Anliegen ist, dies so zu tun, dass kreative Köche damit etwas schaffen, das für mich viel mit Kunst zu tun hat.

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